Europa extrem - Lappland im Winter (1)
Europa extrem | Lappland, Balkan & Peak to Peak (Matterhorn)
► Lappland im Winter (1)
von Axel Bauer
perfekt, makellos und ästhetisch
Die nordische Landschaft fliegt an uns vorbei, die Sonne lässt die Schneekristalle glitzern, der Fahrtwind sie tanzen. Wir schauen aus dem Fenster des Zuges nach Gällivare in Nordschweden und sehen eine in sich ruhende Landschaft. Der Winter, der Schnee und die kleinen Bäume wirken perfekt, makellos und ästhetisch.
Am Akkajaure ziehen wir die Ski bzw. die Schneeschuhe an, befestigen die 25 kg schwere Pulka am Hüftgurt und spüren gleichzeitig wie die -12°C die Hosenbeine hinaufkriecht. Die kommende Nächte werden wir, Martin der Schweizer, Sven und Alex aus Erfurt und ich im Zelt verbringen und hoffen bereits jetzt inständig, dass es nicht unter -25°C werden.
Doch im Laufen spüre ich wieder dieses Gefühl, wie der Geist Ruhe findet in der Weite der Schneelandschaft. Kein i-pod stört die Musik des Nordens, die Geräusche beschränken sich auf das Schlürfen der Ski und den eigenen Atem. Wir navigieren klassisch mit Karte und Kompass und folgen langgezogenen Tälern. Unter unseren Füßen ist kein Land sondern ein See oder auch ein Fluss. Ab und an queren wir die Landschaft, gehen über einen Pass und folgen dem nächsten Tal. Das ist leichter gesagt als tatsächlich getan. Voller Adrenalin stemmen wir uns gegen den Berg um die Pulka hochzuziehen. Die Pulka ist ein Schlitten aus Kunststoff, den jeder mit einem Zuggestänge der Marke Eigenbau versehen hat. Darin ist das Zelt, der Schlafsack, die Klamotten und natürlich das Essen verstaut. Bergab versucht dann der Schlitten einen zu überholen. Sven ist der Erste, der sich einfach darauf setzt und in rasender Fahrt bergab rauscht.
Abendbrot mit Tücken
Am Abend bauen wir das Zelt auf und versuchen das Gefrorene aufzutauen. Alles was Wasser enthält ist zu einem Klumpen erstarrt, selbst das Olivenöl bekomme ich nicht mehr aus der kleinen Flasche und die Zahnpasta streikt auch. Mit steifen Fingern nestel ich am Kocher umher, stehe auf, um mich per Armkreisen wieder einsatzfähig zu machen und setze das Spiel fort, mein Abendessen zuzubereiten. Doch jeder hat auch seinen eigenen Luxus dabei, sei es die MiniEspressoMaschine, die edle Schweizer Schokolade oder die abgehangene Thüringer Knackwurst in meinem Falle.
Im Allgemeinen: die Essenzubereitung im Dunkeln und bei tiefen Minustemperaturen will wirklich geübt sein. Die klassische Vorgehensweisen ganz in Ruhe zu kochen scheitet aus, da am Ende die Finger und die Füße schwarz gefroren sind. Jeder entwickelt da eine eigene Taktik. Martin, der Schweizer kocht am opulentesten und versucht mit viel warmen Tee sich warm zu halten (den Nachteil spürt er im häufigen Klogang während der Nacht). Sven der Purist hat nur 2 Vierpfund Mischbrote, ein Glas Sauerkirschmarmelade und einige Salamis dabei und ist damit am schnellsten fertig. Alex mag schon eher die Beutelsuppen und Nudelgerichte. Für Abwechslung im Einheitsgeschmack kommt da nur die fade Büchsenwurst in Frage.
Ich selber mag es Indisch - scharf. So erwärme ich mir jeden Abend eine Familienpackung indischen daals (Linsengericht), welches so scharf ist, das mir jeglicher Gedanke an Kälte vergeht.
Blaueis im Polarwinter
Es vergehen die Tage und ich habe das Gefühl endlos unterwegs zu sein. Vor der Kälte haben wir noch immer Respekt, doch die Furcht davor ist Vergangenheit.
Vorbei kommen wir an den Hütten von Teusajaurestugorna und Singistugorna und steuern geradewegs auf den Kebnekaise, dem höchsten Berg Schwedens zu. Hoch und wieder runter geht es jetzt und ich bin froh, dass meine Rennsteig erprobten Langlaufski mit Steigfell so gut mitmachen. Die letzten Kilometer vor der Kebnekaise fjellstation (Bergstation) folgen wir einen Fluss der blau zu leuchten scheint. Die Risse auf der Eisoberfläche verästeln sich in alle Richtungen und spielen mit den kargen Sonnenlicht des Polarwinters. Der Wind treibt die Wolken voran und wir ahnen Schneefall für den nächsten Tag.
Schnee bis ins Zelt
Dieser kommt auch prompt und mit ihm der heulende Wind. Das Zelt steht zwischen niedrigen Birken und somit halbwegs geschützt. Es ist noch dunkel draussen, doch wir sind hellwach. Eingemummelt in die Schlafsäcke hören wir der Szenerie mit flauem Gefühl im Bauch zu. Mit den ersten Sonnenlicht hocken wir im Zelt, haben alles verfügbare angezogen und packen zusammen. Der Schnee weht bis ins Zelt hinein. Doch jetzt raus und irgendwie dem Sturm trotzen. Es sind heute gerade mal -7°C und schnell ist uns wärmer als uns lieb ist.
Der letzte Tag in der Wildnis bricht an und so genießen wir das white out, die Ausgesetztheit und die stechenden Eiskristalle im Gesicht.
Wir erreichen im Schneesturm Nikkaluokta und damit die Zivilisation. In 3 Tagen sind wir wieder zuhause und haben bei 0°C das Gefühl die kurze Hose rausholen zu müssen. Auch wenn der Alltag schnell einen wieder erfasst, in Gedanken hänge ich doch lange den eisklaren Seen und der stillen Melodie des hohen Nordens nach.