Balkanfieber - Montenegro (3)
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► Balkanfieber - Montenegro (3)
Wo liegt denn Montenegro? Und ist Albanien nicht gefährlich?
Von Österreich aus führte uns der Weg mit unseren Rädern und der inzwischen 2 Jahre alten Smilla im Anhänger durch Slowenien und entlang der kroatischen Küste bis nach Montenegro. Ein Land, über das wir eigentlich gar nichts wissen. Bis jetzt wussten wir nicht einmal, dass es überhaupt ein solches Land gibt. Als wir über die Grenze fahren regnet es. Wir tasten uns langsam auf dem schmalen Küstenstreifen, im Schatten der großen Berge vorwärts. Die Karte verrät uns, dass es ein Land der Berge und Pässe ist.
So muss wohl der Radlerhimmel aussehen
Montenegro heißt übersetzt "Schwarze Berge" und schon der Name flößt mir Respekt ein. Ich finde an diesem Morgen türmen sich die steilen, endlosen Berge besonders unnahbar vor uns auf. Wo soll da bloß die Straße nach oben führen? Doch wir fangen erst einmal an zu treten und beißen uns an den Anstiegen fest, bekommen Spaß daran und unsere Anspannung löst sich. Ja, vorwärts, immer höher, immer weiter hinein in die Einsamkeit. Immer schmaler wird das Tal und bald verschwinden wir hinter dem ersten Pass. 1296 Höhenmeter fahren wir heute. Eine Bergetappe jagt die nächste und mit jedem Tag wächst unsere Begeisterung für Montenegro. Ein echtes Radfahrparadies: kleine Straßen, extrem wenig Verkehr und sehr vorsichtige Autofahrer. Außerdem stellen wir bald fest: Das ganze Land ist ein gigantischer Zeltplatz. Es gibt so viele wunderschöne Ecken und Wiesen mit Bächen, wir wissen gar nicht, wo wir unser Zelt zuerst aufbauen sollen! Am letzten Abend in den Bergen erfahren wir, dass es hier auch noch Bären und Wölfe gibt und Wibke schläft prompt in dieser Nacht nicht mehr ganz so tief und friedlich.
Durch den zweitgrößten Canyon der Welt
Wir erreichen die Tara-Schlucht, den größten Canyon Europas und zeitgrößten nach dem Grand Canyon in den USA. Links liegt der türkisblaue Gletscherfluss, hinten spielt Smilli auf der Mundharmonika und über uns wollen die Felstürme bis in den Himmel ragen. Ein Pass und dann soll uns eine lange Abfahrt in die Hauptstadt Podgorica führen. Wie eigentlich alle Straßen Montenegro`s ist auch diese auf unserer Karte als landschaftlich schön eingezeichnet. Aber diese Schlucht übertrifft alles bisher gesehene und selbst die Tara Schlucht: Willkommen im Morace Tal. Der Fluss ist noch wilder, links und rechts von uns türmen sich die grandiosen Felswände noch höher auf, durch 27 unbeleuchtete Tunnel rollen wir auf den nächsten 50 km. Zum Glück sind alle relativ kurz und wir sind schnell durch. Nur 2 haben es in sich. Einer ist ca. 300 Meter lang und der andere gar über 800 Meter. Vor dem ersten Langen halten wir ein Auto an, das uns eskortiert. Eine halbe Stunde weiter unten steht der gleiche Autofahrer und wartet auf uns. Er hätte nicht eher Ruhe, bis wir heile auch durch den zweiten Tunnel durch sind, sagt er.
im Rhythmus der Sense
Von Podgorica machen wir uns auf den Weg nach Albanien. Hier, in Küstennähe, ist es deutlich heißer als in den Bergen. So heiß, dass wir eines Morgens Krisensitzung halten. Im Schatten von ein paar Bäumen diskutieren Axel und ich, ob wir weiter fahren oder nicht. Es geht heiß her und erst um 3 Uhr nachmittags einigen wir uns auf einen Kompromiss. Wir versuchen weiter zu fahren, aber wir müssen unseren Tagesablauf komplett umstellen. Ab jetzt stehen wir um 5 Uhr morgens auf und fahren in den kühlen Morgenstunden bis mittags, dann bleibt uns nur der Schatten, um die Schweißströme aufzuhalten. Den Rest des Tages ist Radfahren unmöglich.
An einen dieser kühlen Morgen (28°C um 7.00 Uhr) geht es entlang eines großen Sees, dem Naturschutzreservat Skadarsko jezero, aber immer noch durch beeindruckend wilde Berglandschaften. Vorbei an winzigen Ortschaften, in denen die Menschen noch wie vor Jahrhunderten leben. Sie haben ein paar Schafe und Ziegen, bewirtschaften ihre Felder mit bloßen Händen und mähen die paar kargen Wiesen mit der Sense. Ich habe das Gefühl, dass das Leben hier noch einen ganz anderen Rhythmus hat. Es wird das gemacht, was eben zu dieser Jahreszeit notwendig ist. Da gibt es keine Optionen, keine Zweifel und kein Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Aber irgendwie sehe ich den Bauern bewundernd zu, vielleicht sogar ein wenig neidisch, wie sie so selbstverständlich ihre Sense schärfen und Stück für Stück die Wiese mähen.
Überrascht von den Albanern
Schließlich haben wir die albanische Grenze erreicht und als wir sie überqueren, bin ich hin und her gerissen zwischen Neugier und einem gewissen Unwohlsein. Denn in Deutschland hört man immer wieder, dass Albanien sehr arm und sicherlich auch sehr gefährlich ist. Doch wir versuchen unbefangen zu entdecken Ungewohntes zu verstehen. Da stehen zum Beispiel gleich nach der Grenze eine Kirche und eine Moschee unmittelbar neben einander. Oder als wir abends in Shkoder, einer Stadt im Norden des Landes, in einem Café sitzen und uns das bunte Treiben ansehen sind wir beeindruckt: verschleierte Frauen und junge Mädels im Minirock laufen direkt neben einander. Die Albaner versichern uns, dass hier Muslime und Christen sehr friedlich zusammen leben. Und auch sonst sind wir überrascht von den Albanern: man merkt einen starken Enthusiasmus, überall wird gebaut und Pläne werden geschmiedet. Albanien will EU-Mitglied werden, Deutschland und die Schweiz gelten als große Vorbilder. Wir fühlen uns hier sicher und Smilla genießt die extreme Kinderfreundlichkeit. Besonders die jungen Männer haben, im Gegensatz zu Deutschland, hier keine Berührungsängste mit Kindern. Smilla wird hoch genommen, umher getragen und verhätschelt.
Die Nacht im Ehebett
In Mammuras lädt uns eine Familie in ihr Haus ein. Trotz unseres Protestes schlafen wir im Ehebett und die Eltern gemeinsam mit ihrer Tochter im Kinderzimmer. Marash, der Vater fährt mehrfach im Jahr nach Deutschland, kauft dort 2 oder 3 Schrottautos und macht daraus eins, was wieder fährt. Dieses verkauft er dann wieder in Albanien. Überhaupt sind die Albanier Lebenskünstler, denn das Land ist tatsächlich sehr arm. Kaum jemand hat eine reguläre Arbeit, jeder versucht sich mit irgendetwas über Wasser zu halten. Die Häuser werden Stockwerkweise gebaut. Erst ein Stock mit Flachdach und wenn dann mal wieder Geld da ist, der nächste Stock und vielleicht noch einer. Jedes Haus ist eine Baustelle. Und trotz der recht schwierigen Lebensbedingungen wirken die Albaner auf uns gelassen, entspannt und strahlen eine ansteckende positive Einstellung zum Leben aus.
Mehrfacher Schädelbasisbruch
und doch noch ein gutes Ende
Auch wir werden ganz entspannt. Wir machen es den Albanern gleich und stoppen immer wieder in einem der vielen Straßencafés um Espresso zu trinken. Wir erreichen Durres, eine alte Küstenstadt. Bis ins Amphitheater aus dem 2. Jahrhundert rollen wir mit unseren Rädern und erreichen hier den Endpunkt unserer Reise. 1.350 Rad-Kilometer und 14.000 Höhenmeter liegen hinter uns. Durch 5 Länder sind wir gefahren. Von Österreich aus haben wir uns Stück für Stück bis hierher vorgetastet. Von einer uns bekannten Kultur bis in eine uns ziemlich Fremde. Jetzt wollen wir auch langsam und ohne Flugzeug nach Deutschland zurück. Mit der Fähre wollen wir nach Bari in Italien und dann mit Bus und Zug zurück nach Hause. Wir stehen an der Fähre und wollen einsteigen, da fährt uns der Schreck in die Glieder: Ludelu – Smilla`s vergötterter Teddybär und treuer Lebensgefährte – ist verschwunden. Axel schwingt sich aufs Rad und versucht ihn im dichten Straßenverkehr von Durres wieder zu finden. Wie durch ein Wunder entdeckt er ihn tatsächlich: er liegt überfahren auf der Straße. Gerade fahren noch einmal 2 Autos über ihn hinweg. Das Gesicht quetscht sich auf den harten Asphalt und der Schädel ist deformiert. Als Axel Ludelu an Smilla übergibt, ist er kohlrabenschwarz und kaum noch wieder zu erkennen. Diagnose: mehrfacher Schädelbasisbruch. Smilla ist trotzdem überglücklich. 2 Tage dauert es noch bis wir müde und dreckig, aber voll gestopft mit neuen Erlebnissen und ziemlich zufrieden zu Hause ankommen. Der Balkan hat uns mit seinem Balkanfieber infiziert und wir sind uns sicher, dass das nicht die letzte Reise dorthin gewesen sein wird!