Nordwind (3)
Ein finnischer Sommer | Zu viert mit Tandem und Radanhänger im Land der tausend Seen
► Nordwind (3)
Nordwind | Starten wir eine Reise, wissen wir nicht was auf uns zukommt, wo wir übernachten und wen wir treffen werden. Auch mit Kindern ist das nicht anders. Doch das tut gut, die Reise laufen zu lassen und instinktiv zu handeln. Seit dem Start in Helsinki hat uns unsere innere Kompassnadel nach Norden fahren lassen. Unermüdlich und scheinbar ohne festes Ziel. Ich schlage noch einmal die zerfledderte Karte aus Papier (ohne Zoomfunktion, dafür auch ohne Batterie) auf. Der Süden Finnlands ist zerschnitten mit endlos vielen Wegen. Je weiter nördlich der Finger wandert, desto spärlicher werden die Asphaltbänder und andere Zeichen der Zivilisation. Mein Puls steigt an, die Neugier dazu verhält sich direkt proportional.
In unserer durchstrukturierten Welt klingt Lappland wie aus einer anderen Zeit und flüstert in unsere Ohren: Ruhe - Weite - Einsamkeit. Bis Sodankylä, einem Dorf auf 67,3° nördlicher Breite, sind wir diesem Lockruf gefolgt. Und, und das ist dass, was wir als Gefühl mitnehmen, Lappland riecht wirklich nach Wildnis und auch der Sehnsucht der Menschen danach.
Hier an unserem nördlichen Umkehrpunkt treffen wir auf Maria, 52 Jahre, ein Sohn, alleinstehend. Sie erzählt uns von ihrem Lappland, den schmalen Wegen, den Millionen Mücken, den scheuen Wölfen, den Zeltnächten und dem vielen Licht im Sommer. Wir spüren ihre Verbundenheit mit dieser Gegend und sie erzählt uns, dass sie, so oft es geht, mit dem Rucksack loszieht - auch im Winter. Wir sitzen bis tief in die Nacht am Lagerfeuer und hören ihr zu. "Wenn ihr nach Kokkola kommt, kommt mich besuchen, ihr seid jederzeit herzlich willkommen," sagt sie uns zum Abschied.
Weihnachten im Sommer | Die erste Station auf der Rückreise, und das haben wir Smilla schon seit langem versprochen, ist der Besuch beim Weihnachtsmann. Wir sind kurz vor Rovaniemi und mit viel innerer Überzeugung versichern wir Smilla. "Hier lebt der Weihnachtsmann, direkt am Polarkreis." Doch ich sehe noch einen Hauch Zweifel in ihren Augen. Da wir im Prospekt gelesen haben, "er" sei 365 Tage im Jahr persönlich da, sagen wir zu ihr selbstsicher. "Komm wir suchen den Weihnachtsmann, in irgend einem Haus wird er schon wohnen." Als wir endlich seine Pforte gefunden haben, versucht uns eine seiner Elfen einen Weihnachtsmann als Plüschtier für 45€ oder alternativ einen Weihnachtsmannanstecker für 12,50€ anzudrehen. Mit "Nein Danke" kommen wir ein Level weiter. Selma auf dem Arm, Smilla fest an der Hand, gehen wir durch dunkle und gruselige Gänge, an einer riesigen Uhr vorbei, schließlich zum Chef persönlich. Mit Rauschebart und rotem Gewand sitzt er andächtig im Lehnstuhl vor uns. Ob ihm diesen Job das Arbeitsamt vermittelt hat, frage ich mich insgeheim. Während Smilla sprachlos ist, Wibke für sie Fragen beantworten muss - Stichwort: Bist du auch schön artig gewesen - fängt Selma an zu quängeln. Ich sehe die Uhr an der Wand, die von 1 min 45 s rückwärts zählt. Das ist unsere Audienzzeit, in der immerhin 2 gutbelichtete Fotos von einer weiteren Elfe geschossen werden. Noch betört von so vielen Eindrücken, fragt uns die Elfe im Zimmer "danach", ob wir denn das Foto für 39,50€ oder vielleicht den ganzen Weihnachtsmann USB Stick inklusive der 2 Bilder für 55€ kaufen möchten. Mit einem erneutem "Nein Danke" sind wir draussen und eine Erfahrung reicher.
Fliegende Hausschuhe | Doch Finnland ist mehr - mehr Land, mehr Wald, mehr Wasser. Aber auch weniger. Vor allem an Menschen. Doch diese sind manchmal sehr eigenartig. In einem Dorf mitten im "Nichts" steht eine Filzhausschuhfabrik. Und es wird hier jedes Jahr die Fußball WM in Hausschuhen ausgetragen. In knöchelhohen Filztretern stehen sich die rivalisierenden Teams gegenüber. Wegen der Emanzipation natürlich auch Damenmannschaften. Doch die tragen das Modell mit Bommel. Zur Motivation spielt eine Band, alle Musiker in weißem Netzhemdchen, eine schnelle finnische Polka. Das Spektakel der "fliegenden Hausschuhe" dauert 2 Tage, am Ende gibt es je ein Siegerteam, das je ein Auto gewinnt.
Freaks | Jeder Mitteleuropäer fragt sich, so wie wir auch, was die Finnen während der langen und ja auch anfangs so dunklen Winterzeit wohl machen. Neben dem Skifahren tüfteln sie an ihren Motorschlitten herum und fahren damit über zugefrorene Seen zum Einkaufen. Das machen sie aber auch, wenn das Eis längst geschmolzen ist. Wir trauen unseren Augen kaum, als wir sehen wie ein paar "freaks" mit Affenzahn mit ihren getunten Schneemobilen über einen Fluss jagen. Zugegeben, wir sind Zeuge eines ziemlich finnischen Wettkampfes. Die Motoren heulen, es riecht nach Rennbenzin, die Fahrer sind nervös. Am Flussufer ist Start, 3 Motorschlitten fahren je Durchgang gegeneinander. Ist der Schuss gefallen jagen sie in Formel 1 Manier über den Fluss bis zur Zeitnahme. Von so einer Beschleunigung kann der ambitionierte Autofahrer nur träumen. Dies geschieht im Sommer, ohne Eis und Schnee, als wäre es die normalste Sache der Welt. Nur wir wundern uns. Jedenfalls zu Beginn.
Finnisches Bett | Auf den Weg südwärts Richtung Vaasa und letztlich Helsinki kommen wir bei Maria in Kokkola vorbei. Sie hat uns beschrieben, wo ihr Haustürschlüssel liegt, falls sie gerade nicht da ist. Auf der Treppe zur Wohnung liegt eine Karte für uns. "Fühlt euch wie zuhause, Essen ist im Kühlschrank, bin gegen 21 Uhr wieder zurück. Liebe Grüße, Maria." Was für ein Schuss positiver Energie! Wir parken die Räder, schleppen unsere Sachen in "unser" Zimmer und ich denke so bei mir: Wie wollen wir es schaffen, mit unseren 2 kleinen Mädels, die altersbedingt so gerne ausräumen, ausmalen und umsortieren, dass Maria heute Abend ihre Wohnung als die Ihre wieder erkennt? Wibke schlägt vor, sie schön warm zu baden, dann schlafen sie gleich ein. Es gelingt: Engelsgleich liegen sie im gemütlich weichen finnischen Bett.
Ganz ehrlich: Es gibt noch so viel mehr von unserer Reise durch Finnland zu erzählen. Zum Beispiel von der Bauaustellung in Kokkola. 40 neue Häuser und Villen, erst Ausstellung dann Einzug. Kein Zwang bezüglich Traufhöhe, Ausrichtung oder Einheitsputz. Vielfalt statt Vorschrift! Eine Augenweide für Genießer guten skandinavischen Designs. Aber ich finde, das ist eine andere Geschichte. Oder Motivation für eine eigene Reise.
Ende.