Grenzgang im Winter: Auf dem Kamm zwischen Sachsen und Tschechien (2)
Deutschland | Grenzgang im Winter: Auf dem Kamm zwischen Sachsen und Tschechien
► Wir ziehen durch bis Mühlleithen (2)
Text: Wibke Raßbach
Fotos: Wibke Raßbach und Axel Bauer
Teil 2
Gewicht abwerfen Gehen, Schauen und Nichtsdenken - ja das tut gut während unserer Tage im Erzgebirge! Ich komme mir vor wie eine Glasflasche, die sich über das letzte Jahr hinweg immer weiter mit Informationen, Gefühlen und Ideen gefüllt hat. Jetzt ist es an der Zeit die Flasche Stück für Stück zu leeren und Gewicht abzuwerfen. Die Raunächte (und -tage) waren seit jeher eine Zeit der Stille und Reinigung, in der das alte Jahr ausklingen konnte und das neue noch nicht begonnen hat. Das gleichförmige Laufen und vor allem den ganzen Tag in der Natur zu sein, lassen uns Stück für Stück ruhiger werden. Im Laufe unserer Tour gleichen wir uns innerlich immer mehr dieser stillen, gleichförmigen Winterlandschaft an.
Tschechische Brathähnchen Diesem Gedanken nachhängend laufen wir in Kovarska ein. Es wird bereits dunkel und wir sind nach den 27 Kilometern ordentlich geschafft. Dieser Ort muss wohl einst viele Touristen beherbergt haben, aber fast alle Pensionen sind geschlossen. Schließlich finden wir ein Zimmer, das im Laufe des Abends seine Tücken offenbart: Die Tür fällt fast aus den Angeln, Axels Bett quietscht jämmerlich, die Heizung erzeugt tropische Temperaturen ohne herunter reguliert werden zu können und das Fenster läßt sich nicht öffnen. Morgens liegen wir wie Brathähnchen in unseren Betten und retten uns nur knapp vor dem totalen Kreislaufkollaps ins Freie - endlich frische Luft!
Was man auf Reisen lernen kann Unsere heutige Tagesetappe - ca. 30 km - wäre mit Skiern gut machbar. Doch da es hier an Schnee mangelt und die Kammloipe noch gute 10 km entfernt liegt, nehmen wir schließlich bis dorthin ein bezahlbares tschechisches Taxi. In Bozi Dar können wir endlich alle die Skier anschnallen und hoch motiviert los fahren. Doch schon nach 2 km und einer tiefen Bodenwelle, bricht die Federung an unserem altbewährten Fahrradanhänger und Transportschlitten. Ich bin mir sicher - die Tour ist gelaufen. Doch Axel repariert in stoischer Ruhe die Federung so, dass wir weiter fahren können. Dieser Tag steht wirklich unter dem Motto: mühsam ernährt sich das Eichhörnchen. Es ist 14 Uhr und wir haben noch gute 18 km vor uns. Wenn es etwas gibt, was man auf Reisen wirklich gut trainieren kann, dann ist es: improvisieren, vertrauen und einfach Stück für Stück weiter machen. Es ist nass, kalt und sehr windig an diesem Tag und wir kommen nur sehr langsam voran. Aber als wir spätabends in Horni Blatna mit roten Backen am Tisch sitzen, Knödel und Palatschinken essen, sind wir höchst zufrieden mit uns und der Welt.
Eine ganz neue Erfahrung Die letzte und längste Etappe nach Mühlleithen liegt vor uns: gut 30 km durch recht einsames Gebiet. Schon nach 3 km Fußmarsch sind wir wieder auf der Loipe und können unsere Skier anschnallen. Selma hält sich am Wagen fest und feuert ihren Husky Axel an. Dieser schwitzt beim Ziehen von Kind und Kegel so sehr, dass er im T-Shirt fährt und in der kalten Winterluft vor sich hin dampft. Wenn Axel in Oberhof auf Wettkampfskiern seine Runden dreht, zieht er normalerweise an fast allen anderen Skifahrern vorbei. Diese Erfahrung jetzt: alles zu geben und trotzdem fast auf der Stelle stehen zu bleiben, ist für ihn eine echte Herausforderung. Smilla ist langsam aber ausdauernd auf Skiern. Damit wir unser Tagesziel erreichen können, muss ich ihre Geschwindigkeit mit Hilfe des Gummiseils etwas steigern. Mit Rucksack und Kind im Schlepptau, komme auch ich ins Schwitzen. Zum Glück ist die Kammloipe größtenteils gut gespurt. Teilweise treten wir uns aber auch unsere eigene Spur. Wir fühlen uns wie Trapper, wenn wir so über weite, dick beschneite Wiesen fahren. Müde und geschafft, aber auch glücklich und stolz erreichen wir Mühlleithen. "Schade, dass unsere Tour schon vorbei ist" meint Smilla. Recht hat sie!