Marokko - Märchenerzähler (1)
Marokko | Mit Smilla (3 Jahre) durch hohe Berge und weite Wüsten
► Märchenerzähler (1)
von Axel Bauer
Da ist er ja! Es ist einer dieser Winternächte in Deutschland, an dem das Thermometer immer tiefer rutscht und sich Eisesruhe über das Land legt. Wir parken das Auto am Flughafen Hahn drehen den Schlüssel rum und werden per Flugzeug innerhalb weniger Stunden nach Marrakesh in eine bunte und betörende Welt katapultiert. Dieses mal müssen wir keine Fahrräder mehr zusammen schrauben, sondern Wibke, unsere 2 jährige Smilla und ich heben nur einen Rucksack vom Band. "Da ist er ja", ruft Smilla und wir verlassen den lichtdurchfluteten Flughafen mit weniger als 20 kg Gepäck. In ihm sind Schlafsäcke, ein paar Klamotten und unser Fotoapparat. Mehr brauchen und wollen wir nicht. Auch alle Ängste, Sorgen und Termine versuchen wir zuhause zu lassen, denn wir wollen Marokko entdecken und offen für all die Berber, Tuaregs und Beduinen sein. Die ersten Minuten unter Afrikas Sonne verbringen wir damit fast panikhaft uns die langen Unterhosen, Jacken und Pullover vom Leib zu reissen. Die Einheimischen sind dick eingepackt, für uns jedoch sind es gefühlte 30°C. Unsere neue Reiseleiterin Smilla schicken wir voran, die uns sogleich eine Mitfahrgelegenheit in die Innenstadt organisiert. Die Frau, die uns mitnimmt, hat die Scheiben heruntergekurbelt, und erzählt uns, wie schnell sich Marakesh entwickelt hat.
Gaukler, Schlangenbeschwörer und Märchenerzähler Es ist das Ziel von Modezaren und Innenarchitekten, auf der Suche nach den neuesten orientalischen Trends. Wen verwundert es, denn in den Souks, den Märkten, drängen sich die Kunsthandwerker und bietet feingehämmerte Messinglampen, edle Teppiche und feine Tücher an. Aus der Sahara und der Sahelzone werden uralte Kunst- und Gebrauchsgegenstände ins angesagte Marakesh gebracht und hier feil geboten. Mit dem nötigen Kleingeld kann man in einem traditionellen Hotel absteigen und sich wie ein Sultan fühlen. Jeden Abend, wenn die Sonne hinter dem nahen Atlasgebirge untergeht, beginnt das Leben auf dem Djemaa el Fna, dem Platz der Geköpften im Herzen der Stadt. Geköpft wurde vor langer Zeit zur Abschreckung, heute stehen Gaukler, Schlangenbeschwörer und Märchenerzähler unter UNESCO Weltkulturerbe. Smilla sitzt auf meinen Schultern und ich merke wie sie angespannt auf die Klapperschlange schaut, die nach Flötenmusik aus ihren Korb aufsteigt. Daneben hat jemand Affen an der Leine und eine Frau malt den Leuten Muster mit Henna auf die Hand. Ich habe jedoch den frischgepressten Orangensaft im Blick, der hier verkauft wird. Wenn man neu hier ist, bezahlt man den 3 fachen Preis. Am Ende der Reise erfrischt uns das Glas Saft für 3 Dirham , ca. 30 Cent. Das Handeln ist Teil der arabischen Kultur, und ganz besonders gilt das für Marokko. Wir schauen zu und lernen schnell, mit wie viel Spaß einerseits und Respekt andererseits das Einkaufen funktioniert. Im Gegensatz zu unserer Kultur gilt das Wort mehr als ein besiegeltes Schriftstück. Marakesh ist so bunt und berauschend, dass wir nach ein paar Tage flüchten, um die Sinne
wieder zu beruhigen. Und wo kann es ruhiger sein, als in der Wüste? Aus dem staubigen Fenster des Überlandbusses betrachten wir die Berge des Hohen Atlas. Südlich des Gebirges kommt die Sahara, unser Ziel. Wir versuchen Smilla während der elfstündigen Busfahrt bei Laune zu halten und erzählen wohl zum zwanzigsten Mal die Weihnachtsgeschichte. Dann folgt Hänsel und Gretel und danach die freie Version vom kleinen Muck. Ohne die schweren Märchenbücher müssen wir improvisieren und eigene Märchenstunden ins Gedächtnis rufen.
Am Rande der Sahara "Das ist der Prinz" ruft Smilla völlig außer Fassung uns zu, als sie einen stolzen Tuareg mit blauem Gewand und weißem Turban vor sich stehen sieht. Wir sind in M`Hamid, an der algerischen Grenze am Rande der Sahara angekommen. Der Wind weht durch das jetzt geisterhaft wirkende Dörfchen und führt uns den Nutzen eines Turbans vor. Smilla bekommt gegen den Sandsturm ein altes Moltontuch (neuseelanderprobt!) vor das Gesicht gebunden und außer an der Hautfarbe kann sie nun niemand mehr als Europäerin erkennen. Heute ist Sylvester und wir kommen bei Mohammed in einem schwarzen Nomadenzelt unter. Zu uns gesellen sich noch 3 deutsche Studenten und eine Psychologin aus Paris. Zusammen sitzen wir um einen runden Tisch auf dem Boden und essen Tagine. Dies ist wie ein Lagerfeuer aufgeschichtetes Gemüse und etwas Fleisch, was in einem Tongefäß sehr lange bei kleiner Flamme gegart wird. Der Taginetopf ist rund mit "Zipfelmütze" obendrauf. Es ist ein Beispiel für hocheffizientes und besonders gesundes Kochen, wir sind begeistert. Ach ja, geschmeckt hat es uns vorzüglich. Mit Blick auf das wärmende Feuer hören wir den Trommeln zu. Das alte Jahr neigt sich dem Ende.
Erfahrene Nomaden Wir fragen Mohammed nach seinen Kamelen. "Die Kamele leben frei in der Wüste. Nur wenn wir sie brauchen suchen wir nach ihnen. Doch wir wissen meist wo sie sind." antwortet er stolz. Es ist ein uraltes Prinzip der Wüstennomaden. Wasser und Futter sind knapp und die Kamele finden es von alleine. Zusammen mit ihm und 2 Kamelen ziehen wir für 2 Tage in die Sandwüste. Smilla quiekst vor Begeisterung und später schläft sie bei dem
rhythmischen Schaukeln auf dem Wüstenschiff ein. Es ist Winter und trotzdem warm. Im Sommer jedoch steigen die Temperaturen und liegen nicht mehr im Bereich, die wir als Mitteleuropäer aushalten können. Jedes Jahr verdursten
selbst erfahrene Nomaden auf der Suche nach Wasser. Quellen versanden und geben ihren Schatz nicht frei. Heute Abend sitzen wir hoch oben auf einer rotschimmernden Sanddüne. Das Licht ist gleißend, die Sonne rollt sich hinter den weiten Horizont. Für Smilla ist die Wüste ein riesiger Sandkasten, sie kann ihr Glück kaum in Worte fassen. Für uns ist diese Gegend voller Magie und ein weites Meer der Ruhe. Diese scheint sich auf die Tuaregs übertragen zu
haben, denn Eile kennt hier niemand. Mit Anbruch der Nacht wird das Feuer entzündet und zur Gitarre Lieder gesungen. Manche Lieder haben politische Texte und handeln davon, das die Nomaden die Regierungen anklagen, die ihre Grenzen durch die Wüste ziehen und damit Familien trennen.