Argentinien - Chile by bike...Berge in Sicht (3)
Argentinien bis Chile - Mit 2 Kindern on tour
► Teil 3: Berge in Sicht
Ein halber Quadratmeter Rindersteak. (A.B.) Die Tage, die hinter uns liegen waren so voll an Eindrücken, so geprägt von staubigen Wind, von sandigen Pisten, so voll von Anstrengung an den langen Anstiegen, so einsam und trotzdem voll an Menschen, die uns geholfen haben, aber auch so voll des Glückes mit meinen 2 Töchtern und Wibke hier zu sein, dass es schwer fällt den rechten Anfang zu finden.
Nach unserem 1. Fernsehinterview (von bisher drei) werden wir von einer deutschstämmigen Familie in Bahia Blanca zu einem Asado eingeladen. Dies ist ein Grillabend, denn Argentinier grillen ihre berühmten Rindersteaks mindestens so gerne wie die Thüringer ihre Bratwurst. Das Fleisch von beinahe einem halben Quadtratmeter wird über Holzkohle gegrillt. Und es schmeckt köstlich. Doch während die Bratwürste im Allgemeinen nach ein paar Minuten durch sind, dauert in Argentinien die Zeremonie bis in die Nacht hinein. Das verändert auch nachhaltig den Lebensrhythmus, Kinder bleiben bis MItternacht auf und gehen nachmittags zur Schule. Am frühen Morgen sind wir vier Deutsche oft mutterseelenallein. Von Bahia Blanca aus fahren wir mit dem Bus gut 500 km Richtung Westen, auf unserer Karte sind dies nur ein paar Zentimeterchen. In der Provinzhauptstadt Neuquen steigen wir aus. Wir sind in Patagonien und ein absolut neues Kapitel der Reise beginnt.
Anden in Sicht. (W.R.) Patagonien! Das klingt nach Wildheit, Freiheit, Einsamkeit, nach Wind und schroffer Landschaft. Tatsächlich fahren wir zunächst erst einmal durch ein fruchtbares Stückchen Land, auf dem Obst und vor allem Wein angebaut wird. In einem edlen Weingut verkosten wir einige Sorten und schmecken die Stärke der Sonne Argentiniens. Auch wir sollen diese Sonnenstärke bald zu spüren bekommen, denn jetzt radeln wir durch eine Art Wüste. Kilometerweit erstrecken sich rote Felsen und roter Sand vor uns. Kein Baum spendet Schatten und weit und breit ist keine Menschenseele zu sehen, nur alle paar Kilometer das Skelett einer toten Kuh. Irgendwie beängstigend und irgendwie genauso faszinierend.
Beeindruckt und ein wenig eingeschüchtert fahren wir Kilometer um Kilometer. Dann taucht ein kleiner Hügel auf, ein zweiter etwas höherer. Die Anstiege werden immer ausgeprägter und länger und viele Kilometer weiter können wir am Horizont das erste Mal die schneebedeckten Andengipfel sehen - ein Glücksmoment. Im Laufe von Tagen nähren wir uns diesen faszinierenden Bergen immer weiter und die Landschaft verändert sich langsam, wird grüner, wird bergiger, wird wieder lebendiger. Wie kann man diese Weite beschreiben? Für jemanden, der in Deutschland aufgewachsen ist, ist sie nur schwer zu fassen. Natürlich hatte ich die Landkarte von Argentinien vor unserer Reise gesehen und wußte, dass dieses Land 8 mal größer ist als Deutschland und dabei gerade einmal die Hälfte der Einwohner hat. Wie das aber praktisch aussieht, fasziniert mich immer wieder. Hier in Patagonien liegen die Dörfer leicht 100 km voneinander entfernt und auf der Strecke dazwischen deutet -bis auf die Straße- nichts auf Menschen hin: keine Häuser, Stromleitungen, Fußgänger, Tankstellen, keine Geräusche von Rasenmähern ... nur Landschaft, die sich ganz, ganz langsam verändert.
Echte Indianer (A.B.) Wir versuchen den Takt, den uns das raue Land vorgibt, umzusetzen. Einkaufen für 2 Tage, große Wasserreserven mitnehmen und genau zu wissen, wo wieder ein Laden, ein Haus ist, gehört dazu. Die genauen Informationen bekommt man nur vor Ort. So fragen wir immer und immer wieder, fragen nach Pistenzuständen und Versorgungsmöglichkeiten. Aber alle Antworten sind natürlich aus der Sicht von Autofahrern und müssen "übersetzt" werden. Ein Autofahrer spürt einen Pass mit 1820 m unter Umständen gar nicht, oder schwimmt mit Leichtigkeit über den tiefen Sand auf der Piste, wo unsere Radkarawane stecken bleibt.
Die geringe Bevölkerungsdichte hat aber auch für die Leute hier entscheidende Auswirkungen. Der Staat versucht natürlich flächendeckend Schulen anzubieten - einige haben wir besucht und in einer sogar übernachtet. Die kleinste Schule, die wir uns anschauen, hat gerade einmal 4 Schüler. Genauso viele wie die neu gegründete Weidenschule in Schmalkalden, wobei diese im nächsten Schuljahr wachsen wird, die Argentinische jedoch sehr wahrscheinlich nicht. Bei noch größeren Einzugsgebieten, gibt es Schulen, die gleichzeitig Internate sind, weil der tägliche Schulweg zu weit sein würde. Als wir in einem Internat übernachten, werden wir gleich in die täglichen Abläufe integriert. Wir bekommen selbst gebackenes Brot und einen Becher Milch. Einige unter den Kindern sind Mapuche Indianer. Allein das begeistert Smilla sehr. Sie fragt mich: "Sind das wirklich echte Indianer?"
Es sind viele Wunder, die wir gemeinsam entdecken. Selma sieht überall "Hoppedeider" (Pferde) und baut ihre Scheu vor Hunden ab. Smilla sammelt Steine in schillernden Farben und möchte alle einpacken. Die ersten spanischen Fragen versteht sie und ist gleichzeitig verwundert, dass ihre Antwort richtig ist. Wir Erwachsene blicken hier in den Anden in eine für uns unbekannten Welt, eine Art Urlandschaft. Dazu tragen auch die Araukarienbäume bei. Die ganz Alten haben geschuppte Stämme und eine Mischung aus Blatt und Nadel. Anmutig trotzen sind den Winden. Mittendrin liegt der Lago Alumine. Im Hintergrund thronen die Schneeberge. Eine Filmkulisse könnte nicht edler sein. Hier wollen wir nicht wieder weg, saugen alles ein, inklusive des hell leuchtenden südlichen Sternenhimmels in der Nacht.
Wibke und Axel mit Smilla und Selma