Fahrradkarawane durch den wilden Kaukasus (3)
Fahrradkarawane durch den wilden Kaukasus
Text und Fotografien von Wibke Raßbach und Axel Bauer
► Nachtzug nach Yerewan (3)
Axel:
Radio Yerevan Immer weiter öffnen sich die Täler, immer reißender wird der Fluß, je näher wir der Stadt Kutaisi in Westgeorgien kommen. Ja, der Trip durch den wilden Kaukasus hat uns gefordert, die Beine sind blau ((sehr)schwer)). Uns allen ist es nach Abkühlen und nach Schweiß im Schwarzen Meer abwaschen. So lassen wir die Räder in der Stadt und reisen nur mit kleinem Rucksack nach Korbuleti, einem kilometerlangen Strandort an der Schwarzmeerküste. Inmitten einer nicht endenden Perlenschnur von Sonnen- und Wasseranbetern, die vor dem türkis blauen Wasser liegen, gesellen wir uns dazu. Nach 3 Tagen wunderbaren 28°C warmen Meer, Wassermelone zum Abendbrot und Frühstück sowie Sonnenbrand, zieht es uns wieder zu neuen Abenteuern. In Georgien ist es außerhalb der Berggebiete im Sommer heiß. Wir zerfließen bei 40°C im Schatten wie die Schokolade in der Sonne. Da wir ohnehin neugierig auf Armenien sind, hoffen wir im dortigen Hochland auf gemäßigte Temperaturen. Gesagt - getan: in Tbilisi steigen wir in den Nachtzug nach Yerevan. Bei mir schwingt bei dem Wort Yerevan immer die Kindheitserinnerung an meinen Opa Franz mit, wie er von seinen Kriegserlebnissen spricht. Irgendwo in den Weiten Russlands, wo er Radio Yerevan empfängt und ich als Kind seinen Geschichten lausche. Der Zug rattert über die Schienenstösse der alten Gleise und wir schaukeln zu viert in den Kojen langsam der Hauptstadt Armeniens am Berg Ararat entgegen.
Wibke:
Kein Haus, kein Baum, kein Lebenszeichen Wir schlafen tief und fest - wie Babys im Kinderwagen, die gleichmäßig gewiegt werden. Nur einmal stehe ich nachts auf, wanke zum Zugfenster und schaue hinaus. Die Nacht ist gerade dabei der Morgendämmerung Platz zu machen. Mein Blick schweift über ein steiniges, hügeliges Land. Soweit ich sehen kann: kein Haus, kein Baum, kein Lebenszeichen. Zehn Minuten bleibe ich so stehen - nichts ändert sich. "Ach Du Schande, auf was hast Du Dich da bloß eingelassen!?", denke ich und lege mich wieder in die Koje.
Morgens um 7:30 Uhr fahren wir vom Hauptbahnhof ins Zentrum Yerevans. Ich bin aufgeregt. Denn jedes Land, das man zum ersten Mal betritt, ist wie ein Geschenk, das man langsam auspackt. Die Sprache klingt fremd, die Schilder sind in einem anderen Alphabet geschrieben und die Menschen sehen anders aus - dunkler, kleiner, schmaler - als in Georgien. Zwei Tage lang lassen wir uns durch die Straßen Yerevans treiben und sind überrascht. Von der Kargheit des Landes ist hier nichts zu spüren. Breite Prospekte, schattige Alleen, zahlreiche Springbrunnen und Parks, moderne Kaffees und viele Touristen aus Russland und dem Iran. Von der Hektik und Geschäftigkeit deutscher Großstädte ist hier nicht viel zu spüren. Die Fußgänger schlendern, Eltern bleiben stehen und warten, bis ihre Kinder ausgiebig im Springbrunnen gespielt haben und am Hauptbahnhof ist ungefähr so viel los wie an der Haltestelle Altersbach. Zwar ist die Bahnhofshalle ein beeindruckender Kuppelbau, doch nur ein paar Mal am Tag verläßt ein Zug Yerevan. Ich denke unwillkürlich an den Hauptbahnhof Berlin und bin verwirrt. Leider läßt sich die Entspanntheit Yerevans nicht auf dessen Autoverkehr übertragen. Nach mehreren Versuchen geben wir es auf aus der Stadt heraus zu radeln und nehmen den einzigen Zug, der an diesem Tag noch fährt: nach Gyumri.
Axel:
Birken auf den Dächern Wieder sitzen wir im Zug, alle Fenster sind offen und selbst ohne Bewegung schwitzen wir vor uns hin. Gyumri liegt inmitten in einer verbrannten, halbwüstenartigen Landschaft. Die Häuser sind schmucklos und die Farben bewegen sich zwischen und mausgrau und betongrau. Obwohl etwas Trostloses sich nicht verbergen läßt, lädt mich eine fröhliche Jungsbande an die Klimmzugstange und später zum Fußballmatch auf einer kleiner Sportanlage ein.
"Müssen wir unbedingt so früh aufstehen?", fragt mich Smilla. "Ja, denn wir können eigentlich nur früh am Morgen fahren", antworte ich ihr. Im Morgengrauen setzt sich unsere Karawane in Bewegung. Der goldene Schimmer der erwachenden Sonne scheint uns ewig zu begleiten. Ganz wie gewünscht sind die Temperaturen erträglicher, wohl auch deshalb, weil wir uns bis auf 2000 m Höhe hinauf arbeiten. Am Ende des Tages fahren wir in Vanadzor ein. Gute 6 km zieht sich der Ort und auch in dieser Länge eine alte Industrieanlage dahin. Alles ist kaputt, Scheiben zerschlagen, die Birken wachsen auf den Dächern. Leider sehen wir diesen Anblick aus zerbröselndem Beton und dahin rostendem Stahl überall. In Armenien sind so gut wie alle Industrieanlagen kaputt, die Arbeitslosigkeit liegt oft bei 60% und es gibt wenige Perspektiven für die Zukunft. Die Menschen suchen Arbeit in der Hauptstadt oder -wie so oft in der Geschichte des Landes- eben im Ausland. Los Angeles, Paris oder sonstwo verstreut in der Welt versuchen Armenier ihr Glück und versorgen ihre Verwanden zuhause.
Beste Reisegrüße von Wibke und Axel sowie Smilla und Selma.