Fahrradkarawane durch den wilden Kaukasus (2)
Georgien - Fahrradkarawane durch den wilden Kaukasus
Text und Fotografien von Wibke Raßbach und Axel Bauer
► Slow motion oder Entschleunigung in Swanetien (2)
Axel:
Ushba - Das Matterhorn des Kaukasus " Soll ich das Zelt abspannen?", fragt mich Selma. " Ja!", rufe ich zurück. Heute haben wir eine schwierige Schotterstraße geschafft und sind jetzt schon über 2 Wochen in Swanetien unterwegs. Nun liegen nur noch 90 Asphaltkilometer in diesem abgelegenen Berggebiet vor uns. Neben mir stehen 3 österreichische Motorradfahrer und erzählen mir matschverschmiert und stolz, dass sie die selbe Strecke in einem Tag geschafft haben. Am Ende unseres Gespräches bereuen sie es, die Play Taste des Lebens auf Zeitraffer gestellt zu haben. Doch spulen wir einfach 2 Wochen zurück:
Wir sind mit ein paar Tricks nach Khaisi gekommen: ich per Rad und die 3 Mädels das Steilstück per Anhalter. Khaisi gilt als Eingangstor Oberswanetiens. Die Hitze drückt. Ganz früh am nächsten Morgen folgen wir dem wildgewordenen Enguri-Fluß weiter talaufwärts. Unser Ziel ist der Ort Mazeri, der am Fuße des Ushba, dem Matterhorn des Kaukasus, liegt. Geht es steil bergauf, binde ich zwischen Smillas und meinem Rad ein Seil und versuche sie stetig zu ziehen. Wibke hat Selma auf dem Tandem und leistet hier harte Arbeit. Der Schweiß rinnt den Rücken herunter. "Jetzt nur noch ein kleines Stück diesen Weg hinauf und dann sind wir bei der Babuschka, die ich vor 5 Jahren kennen gelernt habe", sage ich motivierend. Zum Schluss sind es 6 km und 500 Höhenmeter Schotterpiste … Die Frauenmannschaft flucht.
Wibke:
Duftende Bergwiesen Ja, wir fluchen, schnaufen und schwitzen und Axel muss in sicherem Abstand vor uns her fahren. Denn die Babuschka wohnt nicht etwa am Anfang des Örtchens Mazeri, wie Axel betont hatte, sondern ganz am Ende. Aber die Herzlichkeit und Gastfreundschaft der Familie entschädigt uns und bringt uns schnell wieder auf die Beine. Wir werden bekocht wie Könige und bleiben 3 Tage. "Schöner als hier kann es nicht werden!", denken wir und saugen diese großartige Landschaft in uns auf. Schneebedeckte Berge, grandiose Wasserfälle, weite einsame Täler und ein wundervoller bunter Blumenteppich. Hier oben wachsen viele Blumen und Kräuter, die wir von zu Hause kennen: Frauenmantel, Akelei, Beinwell, Wiesenknöterich und Minze zum Beispiel - aber auch viel Unbekanntes. Wenn die Sonne scheint, dampfen die Bergwiesen und es riecht wie ein aromatischer Saunaaufguss. Der 14-jährige Enkel der Babuschka begleitet uns in Richtung des Basislagers zum Ushba. Er hat sein Pferd dabei. Die Mädels dürfen reiten und fühlen sich wie Dschingis Khan bei der Eroberung Nordchinas. "Wenn ich wiedergeboten werde, dann will ich hier als Kuh oder Pferd wiedergeboten werden", philosophiert Smilla. Recht hat sie! Die Swanen leben friedlich und frei mit ihren Haustieren zusammen. Morgens werden alle Hühner, Kühe, Schafe, Schweine, Pferde, Ziegen, Hunde (und was sonst noch so kreucht und fleucht) in die Freiheit entlassen. Tagsüber sucht sich jedes Geschöpf seinen gewünschten Platz und abends kommen alle wieder nach Hause getrottet. Jeder bekommt eine kleine Leckerei, damit er oder sie nicht vergißt, wo zu Hause ist. Und so ist jeder zufrieden. Anfangs laufen wir noch sehr vorsichtig an angsteinflößenden Hunden und mächtigen Ochsen vorbei. Doch mit der Zeit verlieren auch wir unsere Angst und verstehen, dass die Tiere - wenn sie genügend Platz haben - alle recht friedlich miteinander umgehen.
Uneinnehmbar So friedlich scheint es in Swanetien allerdings nicht immer gewesen zu sein. Denn je tiefer wir in dieses geheimnisvolle Gebiet vordringen, umso mehr Wehrtürme entdecken wir. Diese Wehrtürme dienten den Familien früher zur Verteidigung - heute eher als Lebensmittellager. Ein Georgier erzählt uns, dass hier bis vor 10 Jahren ausschließlich die Swanen das Sagen hatten. Die Regierung versuchte dann mit einer groß angelegten Aktion an Einfluß zu gewinnen: eine Straße nach Swanetien wurde gebaut und außerdem zahlreiche Polizeistationen. Seitdem gehört das Gebiet nicht nur auf der Landkarte zu Georgien. Die Swanen waren ein kriegerisches Volk und das schwer zugängliche Swanetien galt lange Zeit als uneinnehmbar. Hier wird eine eigene Sprache gesprochen und die ehemals naturnahe Religion hat viele Spuren im heute christlichen Glauben hinterlassen. Aber man sieht den Dörfern an, dass sie im Laufe der Jahre immer leerer geworden sind. Die jungen Leute sind in die Städte gezogen, viele Wehrtürme und Häuser wirken verwaist und baufällig. Axel war vor 5 Jahren mit seinem Freund Tobi schon einmal hier. Damals trafen die beiden kaum andere Reisende. Als wir nach Mestia, der Provinzhauptstadt Oberswanetiens fahren, kommt Axel aus dem Staunen nicht mehr raus: Jeeps und Kleinbusse bringen Touristen aus Russland, Japan und Israel hierher. Viele junge Swanen sind in die Kleinstadt zurückgekehrt, bauen ihre Elternhäuser wieder auf und sehen im Tourismus eine neue Perspektive. Als wir von Mestia in Richtung Ushguli aufbrechen, verebbt der Touristenstrom schlagartig. Hier beginnt hartes Gelände für uns: die Straße wird immer schmaler, steiler und schlammiger.
Axel:
Stolz wie Henne Für mich ist es ein Traum hier mit dem Reiserad und meinen Mädels die 500 km große Runde am Südhang des Kaukasus zu fahren. Und es ist klar, daß dieses ursprüngliche und naturnahe Leben nur noch solange zu sehen ist, wie die Teerstrasse nicht bis ins letzte Dorf führt.
Ein paar Kilometer hinter Mestia wühle ich mich durch den Schlamm der Strassenbaustelle und gebe bei einer Pause einem abgemagerten Hund einen Brocken Brot. Ich bringe Emil - so taufen ihn Smilla und Selma - mit zur nächsten Polizeistation, denn hier warten sie. Ein Polizist hat die Frauenmannschaft wieder einmal mit dem Pick up durch eine Baustelle mitgenommen. Zusammen, jetzt mit Hund, kurbeln wir weiter, auf einem vom Regen durchnässten schmalen Weg. Sehr oft wird es zu steil und wir schieben. Dieses Tempo kann Emil gut mitgehen. Auf 2200 m (üNN) kommen wir ins höchste dauerhaft bewohnte Dorf Europas: Ushguli. Auch hier werden erste Unterkünfte gebaut und viele "Guest House" Schilder hängen an den alten Steinhäusern. Doch nach wie vor sind die Gassen voller Mist, die kleinen Felder werden mit dem Ochsen gepflügt und mit dem Pferd ist man hier oben schneller als per Auto. Auch das Essen bekommt man nur bei einer Gastfamilie, Übernachten heißt auch Vollpension. Einen Laden gibt es hier nicht.
Hinter dem Ort liegt der mächtige Shkara, dessen Gipfel mit 5158 m üNN der höchste Georgiens ist. Die Westwand erhebt sich gute 3000 m über dem blumenübersäten Talgrund, den wir zu Fuß erkunden.
Bis zum höchsten Punkt der Tour, dem Zagaripass auf 2700 m (üNN) kämpfen wir uns am kommenden frühen Morgen oder besser bis zum Mittag. Schieben - Fahren - Schieben, es ist verdammt steil. Wir sind oberhalb der Baumgrenze, der Schnee ist nur einen Steinwurf entfernt. Direkt am Pass geht Smilla`s Schalthebel kaputt und nur notdürftig kann ich die Schaltung reparieren. Doch wir sind stolz "wie Henne". Nie hätte ich gedacht, dass wir das schaffen können!
Jetzt geht es nur noch bergab und es wird leichter, so denke ich. Doch der Weg ist schwer zu fahren: er ist glitschig und erfordert jede Menge Geschick. Zudem ist es wirklich einsam, den ganzen Tag sehen wir 2 Jeeps (Russen) und 1 Motorradfahrer (Jens aus Leipzig). In diesem vom Rest der Welt vergessenen Bergtal holpern wir über Dreck und Steine abwärts, ja, bis wir nach Tagen die 3 Österreichischen Enduro-Motorradfahrer treffen und sie uns ihren Swanetien - Schnelldurchlauf erzählen und wir unsere Slow-Motion-Variante. Swanetien und die Kinder haben uns entschleunigt!
Wie es bei uns weitergeht, was die nächsten Ziele sind, erfahrt ihr im kommenden Reisebericht.
Es grüßen Smilla, Selma, Wibke und Axel