Bergsteigen in Bolivien (1)
Hohen Berge in Bolivien
► Teil 1 - Anpassungen an Land und Höhe mit Schwierigkeiten
Texte und Fotos von Axel Bauer
träumen 3 Uhr und meine Uhr piepst. Ich werde vom Halbschlaf in die Realität gerissen. Maja zündet den Kocher an und setzt Wasser auf. Adrenalin schiesst ins Blut und ich bin plötzlich hellwach. Wir sind auf 4700m und wollen unsere erste ernsthafte Tour auf den Pequeno Alpamayo in der Cordillera Real in Bolivien starten.
Doch das es überhaupt dazu kommt, hätte ich vor Tagen noch nicht einmal zu Hoffen gewagt. Der Reihe nach: Der Traum in Bolivien bergsteigen zu gehen ist die ganze Zeit mal mehr mal weniger präsent. Mit der Zeit meldet sich so ein Bedürfnis immer stärker und bricht plötzlich durch. Zum Glück gibt es gute Freunde die genauso "voll Bock" darauf haben. Mit Tobias und Maja findet sich ein gutes Team und wir träumen den gleichen Traum von den hohen Sechstausendern der Anden.
Maximilian (Maja) Janke, Biathlet aus Oberhof haben wir (Tobi und ich) das erste Mal in die 1800 m hohe Watzmann Ostwand vor ein paar Jahren mitgenommen. Mit den Blicken in den Abgrund gab es klamme Finge und ohne Übertreibung hat er Todesängste ausgestanden. Mit dem "Überleben" dieser Aktion hat sich "das Leben geändert", so Maja. Ohne Umschweife hat sich der Kletter- und Bergvirus in ihm eingenistet. Mit dem Ende seiner leistungssportlichen Karriere in diesem Frühjahr war der Weg für Bolivien frei, aber auch noch ne Menge Kraft und Energie übrig.
Tobias Frank, unser Physiotherapeut, der alle Muskelfasern der Damennationalmannschaft im Biathlon kennt, war mit mir schon in wilden Gegenden der Welt unterwegs. Ihn kann eigentlich wenig aus der Ruhe bringen.
Kurzum ein cooles Team.
über die Berge in den Urwald Von Europa und den USA sehen wir unzählige Warteschlangen und Flughäfen bis wir in die Welt der Indios kommen. La Paz, die Stadt auf fast 4000 m Höhe wird unser erster Anlaufpunkt und später auch Basislager. Doch so weit über dem Meer fällt das Atmen schwer. Selbst kleine Treppen bringen uns ausser Atem. Dass wir mindestens 2-3 Tage in der Stadt verbringen müssen ist schnell klar.
Wir erkunden das Valle de la Luna, eine riesige Sandkleckerburg südlich der 5 Millionen Stadt. Schon am 2. Tag ist es uns nach mehr Aktivität und die Neugier auf die berüchtigte gefährlichste Strasse der Welt, die "Death Road", welche von den Anden in den Amazonas führt, kommt auf. Unzählige Anbieter in der Calle Sagarnaga in La Paz ringen um Mutige, die mit dem Fahrrad "hinunter" rasen wollen. Wir bezahlen 40€, werden auf den Pass gefahren, winden uns in Protektoren , Jacken und Helme hinein und folgen unserem Guide. Nur definierte Fotostopps unterbrechen den rasanten Downhill auf der schmalen Strasse am gähnenden Abgrund. Je tiefer wir kommen, desto mehr überwuchert der Dschungel die Welt.
Durchfall mit Vollgas Doch wir wollen ja bergsteigen gehen! Gemach, denn ohne Höhenanpassung kriecht man mit wummernden Kopfschmerzen durch die Landschaft aus Punagras und Schneebergen.
Um uns auf Illimani und co. vorzubereiten, reisen wir in die Condoriri Gruppe mit steilen Fünftausendern. Eine Hütte nach der letzten Ortschaft Tuni wird unser Nachtquartier. Bis 22 Uhr ist alles gut, danach wird für Tobi und mich das stille Örtchen zur Zufluchtsstätte. Durchfall auf 4470 m Höhe finden wir alles andere als lustig, sind aber gegen alles komplett wehrlos. Völlig saft- und kraftlos vegetieren wir am nächsten Tag vor uns hin und rätseln warum es Maja nicht erwischt hat. Er brüht uns Cocablätter zum Tee auf, in der Hoffnung wir kommen wieder zu Kräften. Es wird ein ewiger Tag zwischen Klo und Anstarren der Decke. Am neuen Morgen beruhigt sich der Magen nach 24h Nahrungspause und wir packen die Rucksäcke. Es ist ein komisches Bild, wie wir unter der Last von Schlafsäcken, Eispickel und sonstiger Ausrüstung durch die trockene Berglandschaft schleichen. Am Wegesrand schauen uns kleine und große Lamas an, die sicher schon agilere Bergsteiger gesehen haben. Auf 4700 m gibt es das Basislager der Condoririgruppe, direkt an der Lagune Chiar Khota gelegen. Ein Meisterbild von einer Berglandschaft am See. Auf der Isomatte verbringen wir den Tagesrest. Am "Tag danach" kommt ein Fünkchen Energie in uns auf und ein erster kleiner Berg muss dran glauben. Schritt für Schritt kommt mit der Höhe über 5000 m die Erschöpfung zurück, der flaue Magen und die Erkenntnis, was man nie in seinen Leben je wieder Essen möchte. Die Höhe bewirkt aber auch, ab und zu, klare Gedanken und völlige Null Bock Stimmung kurz hintereinander. Wir fühlen uns überfordert und beflügelt zugleich. Deswegen, ja deswegen ziehen wir in Erwägung auf den Pequeno Alpamayo mit 5410 m als Nächstes zu gehen.
Es ist 3 Uhr und der Wecker reisst uns aus den dünnen Schlaf. Haferschleim, dann los. Der volle Mond scheint hinter uns und treibt Tobi an, der mit atemberaubender Geschwindigkeit uns bis zum Gletscherrand führt. Am Gletscher weit oben sehen wir Stirnlampen, Gruppen von Bergsteigern mit Führern aus La Paz. Wann um himmels willen sind die aufgestanden?
steiler Eisgipfel Die ersten Meter auf dem Gletscher sind ungewohnt. Das Eis ist fest und klirrt wie zerspringendes Glas unter den brutalen Steigeisen. Wir gehen am Seil und versuchen langsam voran zu kommen. Und doch holen wir jede einzelne Gruppe Stück für Stück ein. Doch das Schönste wird der 55° steile Gipfelgrat. Wir knallen den scharfen Pickel ins Eis, ziehen daran, atmen und holen die Füße nach. Vor uns der Gipfel und das von der Sonne angelachte Wolkenmeer über dem Amazonasbecken. Zu dritt recken wir am höchsten Punkt auf 5410 m die Hände in die Luft und jubeln.
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